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Ein Interview mit Rapper und Autor Ben Salomo

Ein Interview mit Rapper und Autor Ben Salomo

„Ich bin mit einer Hand am Koffer und mit der anderen am Boxhandschuh“
Ein Interview mit Rapper, Veranstalter, YouTuber und Autor Ben Salomo

Bild: Anat Manor aus der Serie: „In der Gegenwart leben, an die Vergangenheit erinnern" (1998). Collage auf Schachteln, 12, 2 x 17 cm
Ben Salomo ist 1977 in Israel als Jonathan Kalmanovich geboren und in Berlin aufgewachsen. Er gründete die Konzertreihe „Rap am Mittwoch“, bei der sich 14-tägig im sogenannten „Battle-Rap“ sowohl bekannte als auch unbekannte Rapper jeweils um die besten und „krassesten“ Reime und Texte stritten. In seinem eigens kreierten Battle-Rap-Format traten in unterschiedlichen Runden jeweils zwei Rapper/innen gegeneinander an, dabei entschied das Publikum, welche/r Rapper/in die überzeugendste Performance auf die Bühne brachte; dabei sind gegenseitige Beleidigungen und Diskreditierungen auch Teil der künstlerischen Performance. Nicht nur als Veranstalter, sondern auch als Musiker war und ist Ben Salomo aktiv, 2016 veröffentlichte er sein erstes Solo-Album „Es gibt nur einen“. Im April 2018 zog sich Ben Salomo auch aufgrund eines stetig zunehmenden Antisemitismus, als Form des Protestes, aus der Hip-Hop-Szene zurück und gab auch „Rap am Mittwoch“ auf. Seine Erfahrungen in der Szene verarbeitete er in seinem 2019 erschienenen Buch „Ben Salomo bedeutet Sohn des Friedens“.

EuP: Sie waren und sind als Musiker aktiv, nun haben Sie ein Buch geschrieben – welche Unterschiede gibt es denn in Bezug auf die Herangehensweise zwischen einem durchaus auch persönlichen Rap-Text und einem autobiographisch geprägten Buch?

Ben Salomo: Natürlich gibt es sprachliche Unterschiede, klar, auch beim Rap-Texteschreiben arbeitet man mit Worten, aber es gibt einfach ganz andere Gesetzmäßigkeiten. Man muss auf bestimmte Reime, bestimmte Rhythmen und auf den Takt achten. Während beim Schreiben eines Buches ganz andere Dinge im Vordergrund stehen.

Aber auch inhaltlich war es eine andere Herangehensweise: Ich konnte kein Album machen und die ganze Zeit über die Probleme aus meiner Jugend mit Antisemitismus rappen. Man möchte ja eine gewisse Zielgruppe erreichen und auch deren musikalische Vorlieben ansprechen. Als ich dieses Buch geschrieben habe, hatte ich nicht wirklich irgendeine Zielgruppe vor Augen, sondern mir ging es einfach darum, mir die Dinge von der Seele zu schreiben.

EuP: Sie waren lange in der Hip-Hop-Szene aktiv: „Rap am Mittwoch“, das Battle-Rap Format schlechthin, haben Sie auch moderiert, die Reihe produziert und mitgestaltet. 2018 jedoch haben Sie sich aus der Szene zurückgezogen und anschließend Ihr Buch geschrieben.  Welchen Anlass und welche Gründe gab es für diesen Bruch?

Ben Salomo: Der Breaking Point kam im Oktober, November 2017. Ich habe sehr lange mit dieser Entscheidung gehadert, war sehr lange ambivalent. Ich habe schon sehr lange gespürt, dass mich diese Szene sehr unglücklich macht.  Aber als mich meine einjährige Tochter damals nach einer Veranstaltung  mit ihrem ersten Wort „Papa“  empfangen hat und ich gemerkt habe, dass ich diesen wunderbaren Moment nicht genießen kann, weil ich die ganze Zeit diese Negativität der Rapszene und deren Antisemitismus um mich herum hatte, da wusste ich, ich muss eine Entscheidung fällen, weil es jetzt anfing, nicht nur mich zu belasten.

Ich hatte noch gar keine Ahnung, was ich danach mache. Ich meine, das war mein Lebensunterhalt, mein Lebenswerk tatsächlich auch, aber mich mit diesen Anfeindungen zu arrangieren und depressiv zu werden wegen dieser Szene, das war für mich auch keine Option, deswegen habe ich dann diese Entscheidung getroffen.

EuP: Wie haben sich denn die angesprochene Negativität und der Antisemitismus der Szene ausgedrückt?

Ben Salomo: Unter anderem gab es in den sozialen Netzwerken gewisse Hetzkampagnen gegen mich oder meine Veranstaltung. Zum Beispiel hat dort jemand, der in der Battle-Rap-Szene durchaus eine gewisse Relevanz hatte, bei Facebook den Nahost-Konflikt und die weitverbreitete Antipathie gegenüber Israel benutzt, um auch Stimmung und Hetze gegen mich und meine Veranstaltung zu machen. Andere Künstler haben etwa in Bezug auf Ticketpreise mit dem „jüdischen Ausbeuter“-Mythos gearbeitet, um andere Leute gegen mich aufzuhetzen. Meine Musikvideos, die wirklich für Versöhnlichkeit standen, wurden auf YouTube mit Kommentaren wie „Was will der Jude hier?“, „Free Palestine!“  versehen. Oft empfand ich eine totale Ablehnung, die mir entgegenschlug.

Auch habe ich teilweise keine oder nur sehr wenig Solidarität innerhalb der Szene gespürt, sogar von langjährigen Weggefährten. Ich hörte zwar immer wieder „Ich finde das nicht gut“ und so weiter, aber dass die Leute wirklich klare Positionen bezogen haben und sich öffentlich von den Hetzern distanzierten, ist leider bis heute sehr, sehr selten der Fall und dann wusste ich, ich kann da von innen nichts verändern. So habe ich aus dem Bauch heraus diese Entscheidung getroffen.

EuP: Ist der Antisemitismus, den Sie beschreiben, Ihrer Meinung nach ein szenespezifisches oder ein gesamtgesellschaftliches Problem?

Ben Salomo: Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, das Auswüchse in die Szene hat, und gleichzeitig kommen aus der Szene Auswüchse, die den Antisemitismus wiederum in der jüngeren Generation verbreiten und eine Strahlkraft da hinein haben. Wir haben inzwischen in der gesamten Gesellschaft eine große Gleichgültigkeit, insbesondere gegenüber Juden, aber nicht nur, auch gegenüber anderen Minderheiten. Die Leute setzen sich maximal nur noch für ihre eigenen Interessen ein und nicht für die Interessen anderer.

Die aktuellen Quellen des Antisemitismus kommen größtenteils im Deckmantel der überfokussierten Israelkritik und des Israelhasses daher. Da gibt es inzwischen, insbesondere in der Rapszene, sehr krude Anschauungen, die so etwas sagen wie „was die Juden bzw. was die Israelis mit den Palästinensern machen, sei ja vergleichbar mit dem, was die Nazis damals mit den Juden gemacht haben“. Wenn solche Narrative in weiten Teilen Konsens in der Rapszene sind und inzwischen sogar in einigen Teilen der Mitte der Gesellschaft reproduziert werden, was historisch betrachtet ein völlig absurder Vergleich ist, dann entsteht so eine Art Gleichgültigkeit gegenüber Antisemitismus oder sogar ein Gefühl der Legitimation, Hass gegenüber Juden bzw. Israel als Projektionsfläche zu empfinden. Hinzu kommen teilweise auch Aussagen einiger Politiker, die diese Narrative unterstützen, statt ihnen zu widersprechen.

Und dann haben wir in der Rapszene zusätzlich einen überproportional hohen Anteil von Protagonisten mit Migrationshintergrund aus arabischen Ländern oder aus der Türkei oder dem Iran. Die werden auch mit Fernsehsendern aus dem Nahen Osten sozialisiert, die ein ganz anderes Geschichtswissen oder auch Geschichtsklitterung vermitteln. Wenn dem dann hier in Deutschland in der Gesellschaft und auch im Schulsystem zu wenig entgegengesetzt wird, dann bringen sie diese Narrative natürlich auch in die Musik mit ein und infizieren die Hörer und die Gesellschaft mit einer großen Antipathie gegenüber Juden, gegenüber Israel und produzieren wiederum neue Gleichgültigkeit und neuen Antisemitismus.

EuP: Sie sprechen das Bildungssystem an: Wie sollen Pädagogen und Pädagoginnen in Deutschland Ihrer Meinung nach an das Thema herangehen?

Ben Salomo: Ja, also ich würde sagen:  umfassend und nicht verkürzt.  Es darf nie der Fall sein, dass in Geschichtsbüchern der Eindruck entsteht, plötzlich war Israel da. Es müssen auch die Ursprünge des jüdischen Volkes in Judäa verdeutlicht werden, oder die Tatsache, dass der Staat auf Basis eines UN-Teilungsplans, zwar nach dem Holocaust, aber nicht wegen des Holocausts, entstanden ist. Nachdem der Teilungsplan dort verabschiedet wurde und die israelische Seite diesen Teilungsplan angenommen hat - das taucht meiner Meinung nach nämlich viel zu wenig in deutschen Geschichtsbüchern auf -  haben die arabischen Anrainerstaaten diesen neu gegründeten Staat angegriffen und somit glasklar das Völkerrecht gebrochen. Und dementsprechend haben sie Gebiete verloren – das ist nicht Landraub, sondern sie wurden aufgrund eines Angriffskrieges verloren. Das muss man den Jugendlichen auch erzählen, damit eben sowas wie „Besatzerstaat“, „Terrorstaat“, „Landraub“, all diese verkürzten Slogans, die man eigentlich nur maximal bei dem al-Quds-Marsch hören können sollte, nicht in die Köpfe der Jugendlichen gelangt. Und falls diese Begriffe im deutschen Geschichtsunterricht fallen, muss auf Basis der historischen Fakten vehement widersprochen werden.

EuP: Kann man, was die von Ihnen angesprochenen Narrative angeht, auch innerhalb der Hip-Hop-Szene entgegensteuern?

Ben Salomo: Das Problem ist, dass wir eben leider in der Rapszene keine Pädagogen haben oder keine Leute, die durchweg frei sind von gewissen Propagandanarrativen, deswegen ist es total wichtig, in der Schule die Leute gegen die Möchtegern-Geschichtslehrer aus der Rapszene zu immunisieren, damit sie nicht auf solche Narrative hereinfallen.

EuP: Hip-Hop war eine Jugendkultur, das haben Sie sowohl in Ihrem Buch als auch in zahlreichen Interviews beschrieben, die bei der Gemeinschaft und Versöhnung eine große Rolle gespielt hat. Haben Sie Hoffnungen, dass so eine „Community“ wieder herstellbar ist?

Ben Salomo: Ich glaube leider nicht, dass das möglich ist. Ich glaube, was maximal möglich ist, dass sich eine oppositionelle, eigene, neue Rapszene parallel zu der jetzigen bildet und innerhalb dieser neuen Rapszene wieder diese ursprünglichen Community-Werte hochgehalten werden und gleichzeitig aber selbstbewusst Position eingenommen wird gegen Auswüchse, die es halt im anderen Teil dieser Rapszene gibt. Vielleicht kann irgendwann bei dem einen oder anderen in dieser problematischen Rapszene eine Art Umdenken eintreten – aber so richtig umkehrbar, glaube ich, ist es nicht.

Die Strukturen und die Machtverhältnisse sind gerade ganz klar zugunsten der problematischen Rapper ausgerichtet, sowohl in der Industrie als auch in den sozialen Netzwerken und den Plattformen, die sie inzwischen zur Verfügung haben, also die Reichweite und das Geld, das sie damit umsetzen. Daher, glaube ich, ist es sehr, sehr wichtig, dass wir eigentlich an der Gesellschaft ansetzen, weil die Rapszene ein Spiegelbild der Gesellschaft ist. Die Szene und die Rapper, die da erfolgreich sind, sind gleichzeitig auch ein Brandbeschleuniger. Aber diese Brandbeschleunigung zu verhindern, das geht nur, indem man die Jugendlichen, die die Musik gut finden, früh genug abholt und sie immunisiert gegen diese Denkmuster. Das gilt beispielsweise auch für ein breites Spektrum an Verschwörungstheorien, die unglaublich weit verbreitet sind in der Rapszene.  Aber die Frage könnte man auch zurückwerfen. Wir haben ja inzwischen auch Leute in unserer „Mitte der Gesellschaft“, „Reichsbürger“ beispielsweise oder andere Verschwörungstheoretiker. Wie holt man denn diese Menschen ab? Die müsste man ja auch irgendwie zu einem Umdenken bewegen, denn immerhin sind diese Leute auch eventuell Wähler.

EuP: Sollte man deshalb auch den Hip-Hop in den Unterricht holen und dort beispielsweise Kollegah-Songs analysieren?

Ben Salomo: Ich glaube schon, dass es gut ist, diese Dinge zu analysieren. Gerade zum Beispiel anhand eines Kollegahs kann man wunderbar aufzeigen, dass er schon längst von der Wissenschaft widerlegte Propaganda-Narrative in seiner Musik aufgreift, um im Endeffekt Stimmung gegen Juden zu machen, was auch noch darauf schließen lässt, dass er nicht nur irgendwie ein Provokateur ist, sondern ein Ideologe, der Rap-Musik als Vehikel verwendet, um seine Narrative zu verbreiten.

Es wachsen ja immer mehr Lehrer in diesen Beruf hinein, die selbst auch einmal Rap-Fans waren, vielleicht sogar noch sind – die können dann auf diese Art und Weise definitiv kompetent über diese Dinge sprechen. Aber vorher ist es wirklich sehr wichtig, dass man den Jugendlichen und den Kindern hier beibringt: Israel ist ein legitimer Staat, eine Nation unter vielen anderen in den Vereinten Nationen, nicht basierend auf Landraub, sondern legitim, weil die Juden nun mal historisch nachweislich von da stammen, auch wenn sie von dort vertrieben wurden und lange Zeit nicht die Mehrheit stellten, bleiben sie ein indigenes Volk aus genau dieser Region. Die Hälfte der jüdischen Bevölkerung in Israel sind Vertriebene auch aus arabischen Staaten, das muss man den Jugendlichen auch sagen. Und man muss auch die Rolle der arabischen Staaten – auch wenn es unangenehm ist, weil vielleicht viele arabische Kids im Unterricht sitzen –, die sich nicht mit Ruhm bekleckert haben, die muss man genauso thematisieren. Nur so kann man ein Gegengewicht zu diesem israelbezogenen Antisemitismus herstellen, der insbesondere in den Ballungszentren Deutschlands das größte Einfallstor ist für den aktuellen Antisemitismus.

Eup:  Denken Sie ab und an daran, Deutschland zu verlassen – oder wollen Sie weiterhin hier so engagiert gegen Antisemitismus kämpfen?

Ben Salomo: Ich glaube, ich bin in der Hinsicht ein sehr eigentümlicher Charakter, weil ich der Ansicht bin, wenn ich nicht kämpfe, habe ich aufgegeben und arrangiere mich im Prinzip mit der Situation. Dazu war ich nie in meinem Leben bereit. Gleichzeitig aber bin ich kein naiver Typ, sondern eher ein Realist, vielleicht sogar manchmal ein Pessimist. Ich bin mit einer Hand am Koffer und mit der anderen Hand im Boxhandschuh und solange ich kann, werde ich diesen Kampf kämpfen. Aber ich glaube, es ist sehr schwer für Deutschland, den Antisemitismus flächendeckend zurückzudrängen, da muss wirklich ein richtiger Ruck durch die Gesellschaft, die Politik und auch durch einen Teil der Medien gehen, die oftmals verkürzt und tendenziös über Israel berichten. Wenn das passiert – ich will jetzt nicht die Hoffnung aufgeben, ein bisschen habe ich die ja vielleicht noch –, dann könnte man eventuell die Kurve kriegen. Aber wenn ich sehe, dass das innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre nicht passiert, dann denke ich mal, werde ich mit beiden Händen am Koffer sein.

Die Aussagen der Interviewpartner/innen stellen keine Meinungsäußerung der Landeszentrale für politische Bildungsarbeit dar. Für die Inhalte der Äußerungen tragen die Befragten die Verantwortung.
 

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