Themenforum Oberwiesenfeld

Renate Schönberger

Ein Interview mit der Referentin der Deutschen Olympischen Akademie Renate Schönberger 

Bild: Renate Schönberger

Foto:  Sammy Minkoff

„Die olympische Idee hat auch heute noch Bestand“
 
Renate Schönberger war während ihres Sportstudiums an der Bayerischen Sportakademie Grünwald als Chefhostess bei den Olympischen Spielen 1972 in München tätig. Später unterrichtete sie am Franz-Marc-Gymnasium in Markt Schwaben Biologie und Sport, wobei sie im Rahmen von Projektarbeiten häufig einen Schwerpunkt auf die Olympischen Spiele legte. Für die Deutsche Olympische Akademie, die sich die Förderung des Sports und der olympischen Idee zum Ziel gesetzt hat, tritt sie als Referentin auf und erstellt Unterrichtsmaterialien zur Vermittlung der olympischen Werte. Renate Schönberger übernimmt außerdem zahlreiche ehrenamtliche Tätigkeiten. So erteilt sie beispielsweise Schwimmkurse für Kindergartenkinder, organisiert Spendenläufe für Kinder und wirkt bei Ehrveranstaltungen der Bayerischen Staatsregierung im Bereich Sport mit.
 
E+P: 1972 waren Sie 22 Jahre alt und haben in München, besser gesagt in Grünwald, studiert. Welche Stimmung herrschte damals in der Stadt?
 
Renate Schönberger: Eine besondere Stimmung in der Stadt habe ich nicht bewusst wahrgenommen. Ich war im letzten Semester und schon auf das Staatsexamen fokussiert. Als dann im Frühjahr 1972 unsere Hostessenausbildung begann, waren wir alle sehr stolz, „dabei sein“ zu dürfen. Alle, denen ich erzählte, dass ich Hostess bin, waren vollauf begeistert.
 
E+P: Der Olympiaplan war auch eine Ausstrahlung ins Land: Augsburg, Ingolstadt, Nürnberg, Kiel als erweiterte Austragungsorte – in ganz Deutschland entstanden Trimm-Dich-Pfade – war Deutschland damals sportinteressierter als heute?
 
Renate Schönberger: Das könnte ich nicht behaupten.
Im Gegenteil, wenn ich an die Fitnessangebote, an die ganzen Ernährungsdebatten denke, meine ich, dass wir heute viel gesundheitsbewusster leben.
Wenn ich heute durch den Stadtpark gehe, begegne ich immer Joggern oder Nordic Walkern, das wäre früher nie der Fall gewesen.
 
E+P: Sie waren bei den Olympischen Spielen 1972 Chefhostess in der Olympiahalle – wie kam es dazu?
 
Renate Schönberger: Unsere Ausbildungsleiterin und stellvertretende Direktorin der Bayerischen Sportakademie in Grünwald, Frau Dr. Krombholz, fragte in einer Übungsstunde, wer Interesse hätte, an den Olympischen Spielen in München als Hostess mitzuwirken. Da habe ich mich gemeldet.
 
E+P: Warum haben Sie sich beworben und wie lief der Bewerbungsprozess ab? Was musste eine Hostess können? Kann man das mit heutigen Castings vergleichen?
 
Renate Schönberger: Vorausgegangen war ein Telefonanruf von Frau Dr. Schwabe, der Ausbildungsleiterin der Hostessen 1972, die den Direktor der Bayerischen Sportakademie sprechen wollte. Frau Dr. Krombholz nahm an seiner Stelle den Anruf entgegen. Sie war begeistert von der Idee, dass „ihre“ Sportstudentinnen als Hostessen fungieren sollten, und übertrug natürlich diese Begeisterung auf uns. Ich meine, dass sich alle 28 Sportstudentinnen meines Jahrgangs beworben haben, zusätzlich zu den Studentinnen des Studiengangs „Sport im freien Beruf“.
Da sich unsere Tochter für den Hostesseneinsatz bei den Spielen 2010 in Vancouver auch einem Casting unterziehen musste, kann ich behaupten, dass diese Bewerbungsgespräche auch heute noch so ablaufen.
Wir wurden in einem persönlichen Gespräch nach unserem Lebenslauf und unseren Hobbies gefragt und mussten unsere Fremdsprachenkenntnisse unter Beweis stellen. Durch unseren Studienzweig waren wir schon mal prädestiniert für den Einsatz im Sportbereich.
Den Tatsachen, dass ich in meiner Jugend aktive Turnerin (Vfl Günzburg), später dann im dortigen Leistungszentrum Trainerin war und eine Kampfrichterausbildung für Gerätturnen hatte, verdanke ich meinen Einsatz als Chefhostess in der Sporthalle bei den Sportarten Gerätturnen und Handball.
 
E+P: Wie wurden Sie vorbereitet? Gab es einen Dresscode, eine strenge Choreographie? Haben Sie auch an der Auftaktveranstaltung teilgenommen?
 
Renate Schönberger: Bereits ab dem Frühjahr 1972 hatten wir Chefhostessen regelmäßige Treffen an den Wochenenden. Wir besuchten die einzelnen Sportstätten. Wir mussten „programmierte Spaziergänge“ durchführen, um die Sportstätten und die Sehenswürdigkeiten von München kennenzulernen.
In einem Schminkkurs wurden wir in die Geheimnisse des dezenten Schminkens eingeführt, mit den entsprechenden Präparaten versorgt (Lidschatten in Olympiablau!) und bekamen unsere Hostessengarderobe (Dirndl, Jäckchen, Regenumhang, Schuhe, Tasche, Sonnenbrille).
Zunächst waren wir von den Dirndln weniger angetan. Auch wenn heute bis zum Hals zugeknöpfte Dirndl durchaus in Mode sind, fanden wir das damals gar nicht gut. Auch waren sie viel zu lang. Sie reichten doch tatsächlich bis zum Knie! Dem wurde aber schnell Abhilfe geleistet und der Saum umgenäht.
Ende Juni 1972 nahmen wir dann die Arbeit an unserer Einsatzstelle auf und wohnten bis auf wenige Ausnahmen im Hostessenwohnheim in der heutigen Studentenstadt Freimann.
Vor der eigentlichen Eröffnungsfeier gab es ein Fußballspiel (ich glaube, es war FC Bayern München gegen 1860 München) und die Chefhostessen, die bereits ihre Arbeit angetreten hatten, durften am oberen Rand des Stadions Spalier stehen.
 
E+P: Was genau war dann Ihre Aufgabe bei den Spielen?
 
Renate Schönberger: Ich hatte mich um den Einsatz, das Wohlbefinden, den Kummer und die Sorgen von 25 Hostessen, für die ich als Chefhostess verantwortlich war, im Sportbereich der Sporthalle zu kümmern. Zusätzlich war ich Ansprechpartnerin des Sporthallendirektors Herrn Hofmeister.
 
E+P: Wie haben Sie damals von dem Olympia-Attentat erfahren?
 
Renate Schönberger: Als ich morgens in die Sporthalle kam, wurde es mir erzählt. Natürlich waren wir geschockt von dieser Nachricht.
 
E+P: Wie haben Sie die ersten Stunden/den ersten Tag nach dem Anschlag erlebt?
 
Renate Schönberger: Wir konnten von unserem Büro auf der Nordseite der Olympia-Sporthalle direkt auf das olympische Dorf schauen und sahen die Terroristen auf dem Balkon.
Die russische Mannschaft, die zum Training in der Halle war, traute sich nicht mehr ins olympische Dorf zurück und blieb im Ehrengastbereich, bis gegen Abend die Nachricht eintraf, dass Geiseln und Terroristen zum Flugplatz nach Fürstenfeldbruck gebracht worden waren.
Es waren dann nur mehr die Chefhostessen und die Gruppenhostess (Sigi Adams, die Tochter von Siegfried Perrey, dem Mitglied im NOK-Team und Organisator von Eröffnungs- und Schlussfeier) in der Halle, alle anderen Hostessen wurden aus Sicherheitsgründen heimgeschickt.
So hatten wir natürlich alle Hände voll zu tun, die russische Mannschaft mit Essen und Getränken zu versorgen, sie über aktuelle Nachrichten (die uns ständig von der Pressestelle in der Sporthalle übermittelt wurden) auf dem Laufenden zu halten und beruhigend auf sie einzuwirken.
Auf dem Heimweg war die Stimmung schon auch sehr bedrohlich, da auch an den Eingängen zum Hostessenwohnheim Polizisten mit Maschinenpistolen im Anschlag standen.
 
E+P: Hatten Sie Angst, als es hieß: „The Games must go on!“
 
Renate Schönberger: Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil, ich war über diese Entscheidung sehr froh. Das Attentat richtete sich ja nicht gegen die Olympischen Spiele als solche. Meiner Meinung nach darf sich, so tragisch dieses Ereignis auch war, der Sport nicht durch Politik und durch Terroraktionen beeinflussen lassen. Auch kam von israelischer Seite die Aufforderung, die Spiele nicht abzubrechen.
Die Sportlerinnen und Sportler haben sich über viele Monate auf diesen olympischen Wettkampf vorbereitet; Olympische Spiele sind der Höhepunkt in ihrer Sportlerlaufbahn. Wenn die Sicherheit der Sportlerinnen und Sportler, soweit es menschenmöglich ist, gewährleistet werden kann, soll ihnen auch die Möglichkeit gegeben werden, dass sie ihren Wettkampf durchführen können.
Man könnte jetzt anführen, bei entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen hätte dieser Anschlag nicht erfolgen können. Dieses zu beurteilen maße ich mir nicht an.
 
E+P: Sicher waren die Eindrücke bei der Schlussveranstaltung andere als bei der Eröffnung. Können Sie diese schildern?
 
Renate Schönberger: Nach der Trauerfeier verlief der Rest der Spiele in gedämpfter Stimmung. So auch die Schlussfeier, deren Programm auch entsprechend abgeändert wurde.
Trotzdem verfolgte das Publikum den vorangehenden „Preis der Nationen“, einen Wettkampf der Springreiter, mit großer Begeisterung und der Jubel über die Goldmedaille war riesig.
 
E+P: Sie blicken zurück auf Ihre Tätigkeit als Gymnasiallehrerin an einem bayerischen Gymnasium für die Fächer Sport und Biologie. Haben Sie Ihren Schülerinnen und Schülern als Zeitzeugin von 1972 berichtet?
 
Renate Schönberger: Mit meinen Sportkolleginnen und -kollegen zusammen haben wir in mehreren Jahren als Projektarbeit „Olympische Schülerspiele“ veranstaltet. Dabei kam meine Hostessentätigkeit natürlich auch zur Sprache. Die Siegermedaillen wurden von Mädchen in meinen Olympiadirndln von 1972 übergeben. Im P-Seminar „Olympische Erziehung“ hielt Frau Dr. Krombholz einen Vortrag über die Spiele 1972 und den Einsatz der Hostessen. Auch hier kamen meine Dirndl zum Einsatz. Ehemalige Schülerinnen trugen sie auch bei der Einweihung der Olympischen Ringe Anfang Juli im Olympiapark.
 
E+P: Bis heute erstellen Sie Unterrichtsmaterialien für die Deutsche Olympische Akademie zu allen durchgeführten Olympischen Spielen – Winter wie Sommer. Wie können Sie das heutige Handeln des IOC (Vergabe an Autokratien, Umgang mit dem Sport im politischen Terrain) vermitteln?
 
Renate Schönberger: Wir nehmen jeweils die Olympischen Spiele zum Anlass, um Unterrichtsmaterialien zur „Olympischen Erziehung“ zu erstellen und den Schülerinnen und Schülern damit die „Olympische Idee“ als Werteerziehung für ihren Sport und auch ihre Lebensweise näherzubringen. Sie sollen nachvollziehen können, dass es bei den Olympischen Spielen neben der Leistung um friedliche Wettkämpfe, Völkerverständigung und Fair-Play geht – zweifellos zeitlos zentrale Werte für die Gesellschaft. 
Auch wenn die Olympische Spiele ursprünglich aus der olympischen Idee entstanden sind, heißt das aber noch nicht, dass alle Funktionäre und auch alle Sportlerinnen und Sportler diese Werte umsetzen. Nachdem unser Anliegen die Vermittlung olympischer Werte ist, werden diese Missstände, aber auch Doping sehr deutlich angesprochen, damit die Schülerinnen und Schüler eigene Standpunkte zur aktuellen olympischen Situation entwickeln können. Es gibt aber auch Sportlerinnen und Sportler, die sich hierzu klar äußern, ich denke dabei beispielsweise an Felix Neureuther.
 
E+P: Was ist Ihre Vision möglicher Olympischer Spiele in Deutschland?
 
Renate Schönberger: Schon bei der Bewerbung für die Olympischen Spiele 2018 in München hatte ich sehr gemischte Gefühle, auch wenn ich bei der Verkündigung am Marienplatz stand und letztendlich über das Ergebnis sehr enttäuscht war.
Olympische Spiele, wie in München 1972, könnte ich mir für Deutschland vorstellen.
Dies ist aber ein reiner Wunschgedanke, so wie die Vergabe jetzt verläuft, wie die Austragungsstädte geknebelt werden, bei dem ganzen Gigantismus, der die Sportlerinnen und Sportler und die sportlichen Wettkämpfe in den Hintergrund drängt. Man denke beispielsweise an die überzogenen Eröffnungsfeiern. Es müsste eine totale Umgestaltung und Reformation bei einer Ausrichtung der Olympischen Spiele stattfinden.
 
E+P: Was möchten Sie uns noch von den Spielen 1972 berichten?
 
Renate Schönberger: So wie Silvia ihren Prinzen gefunden hat, habe auch ich bei den Olympischen Spielen 72 meinen Prinzen getroffen. Auch wenn er nicht von königlichem Blut ist, sind wir doch schon 46 Jahre verheiratet.
Mit dem olympischen Gedanken wurde ich das erste Mal bei meinem Abitur 1968 konfrontiert. Thema des Aufsatzes: „Zwischen Mexiko und Grenoble, hat die olympische Idee noch eine Zukunft?“ Ich hatte aus heutiger Sicht keine Ahnung von dem Begriff der olympischen Idee, aber dieses Thema mit großem Enthusiasmus bearbeitet. Ergebnis: Note 5. Begründung: Das Thema war angeblich negativ gestellt! Wie ich dann zu einer Zwei in der mündlichen Prüfung gekommen bin, war mit schleierhaft.
Vier Jahre später zeigte sich die Beständigkeit der olympischen Idee im Rahmen der Spiele in München, die natürlich der Höhepunkt für mich waren.
Noch heute, 50 Jahre nach meinem Einsatz als Chefhostess, arbeite ich mit Begeisterung an den Unterrichtsmaterialien zur olympischen Erziehung. Die olympische Idee hat auch heute noch Bestand und unabhängig von Ausuferungen bei den Olympischen Spielen auch weiterhin eine Zukunft.

Interview: Uta Löhrer

 
 

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