Der Bayerische Landtag lehnte das Grundgesetz letztlich ab. War das aus heutiger Sicht ein kluger Schachzug, wenn man bedenkt, dass diese Entscheidung heute oftmals als „bayerischer Sonderweg“ deklariert wird?
Ferdinand Kramer: Zum einen gab es die feste Überzeugung mancher Akteure, dass das Grundgesetz zwar grundsätzlich föderal ausgestaltet war, jedoch Dynamiken möglich sein würden, durch die die Kompetenzen der Länder wieder hätten infrage gestellt werden können. Betrachtet man die Entwicklung der letzten 70 Jahre, dann stellt man fest, dass diesbezüglich die kritischen Stimmen von damals durchaus recht hatten: Der Bund zog immer mehr Kompetenzen an sich, die ursprünglich das Grundgesetz den Ländern zugewiesen hatte. Dabei wurde die Finanzverfassung zum Nervus Rerum für die bayerische Föderalismuspolitik nach 1945. Die Erzberger‘sche Finanzreform von 1919/20, im Rahmen derer das Reich die Steuerertragshoheit bei den ergiebigsten Steuern an sich zog, hatten viele Politiker in Bayern, auch Anton Pfeiffer, als eine Art Knockout der bayerischen Staatlichkeit erlebt. Vor diesem Hintergrund blieb eine Skepsis über entsprechende Regelungen im Grundgesetz. Über die Kompetenzen zur Verteilung der Finanzen zwischen Bund, Ländern und Kommunen könnte letztlich die Staatlichkeit der Länder ausgehöhlt werden. Tatsächlich gab es bald die Situation, dass der Bund mit seiner Finanzhoheit und -kraft Länderkompetenzen gleichsam „auskaufte“. Insofern war die Ablehnung des Grundgesetzes kein Reflex, den man nur mit „bayerischen Sonderwegen“ erklären kann, sondern auch eine bedachte Entscheidung auf Grundlage der Frage, welche Dynamik dieser künftige Bundessstaat entwickeln würde. Und natürlich hat der Landtag mit der Ablehnung des Grundgesetzes gleichzeitig dessen Rechtsgültigkeit bejaht, wenn zwei Drittel der Länder zustimmen würden, woran kein Zweifel bestand.