Über den Zustand der deutschen Demokratie – Gespräch mit Prof. Dr. Andreas Wirsching

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Foto: IfZ München-Berlin
 
Prof. Dr. Andreas Wirsching ist Direktor des Institut für Zeitgeschichte München - Berlin

Sie haben bereits 2016 in einem viel beachteten SZ-Artikel darauf hingewiesen, dass es für die westliche Demokratien bereits fünf vor zwölf sein könnte. Seitdem hat die Covid-19-Pandemie für einen Zulauf bei demokratiefeindlichen Gruppen gesorgt, die sogenannte Energiekrise könnte ebenfalls von Demokratiefeinden instrumentalisiert werden. Ist das Scheitern der Demokratie, das man vor dem Hintergrund Weimars von den Geburtsstunden der Demokratie an unbedingt verhindern wollte, nun wieder denkbar?

Andreas Wirsching: Einerseits muss man sich gewiss vor einem falschen Alarmismus hüten: Bei der Bundestagswahl 2021 gab es zum einen eine beachtliche Wahlbeteiligung von über 75 Prozent, zum anderen haben 80 Prozent der Wählerinnen und Wähler unzweifelhaft demokratische Parteien im Spektrum zwischen CSU und den Grünen gewählt. Es ist in der Bundesrepublik schwierig, die politische Tektonik nach links und rechts zu verschieben, was dafür spricht, dass die Demokratie der Bundesrepublik eine Tradition entwickelt hat, die sie sensibel für Gefährdungen macht. Diese Sensibilität zeigt sich meines Erachtens beispielsweise in der Rhetorik, wo sowohl die Justiz als auch die politischen, administrativen und kulturellen Eliten wachsam hinsichtlich einer Verschiebung der „Grenzen des Sagbaren“ im Sinne volksverhetzender Rhetoriken sind. Das ist ein signifikanter Unterschied zur Weimarer Republik, wo große Teile der Eliten antipluralistisch, etatistisch eingestellt waren.

Andererseits ist der sogenannte Populismus zu einer Parteienfamilie in allen westlichen Demokratien geworden und er wird auch so schnell nicht wieder verschwinden. Wenn man diese Entwicklung nun zusammen mit einer meiner Meinung nach bestehenden Krise des Repräsentationsprinzips betrachtet, bei der Wählerinnen und Wähler denken, dass Politikerinnen und Politiker untauglich oder gar korrupt seien, wenn sie nichts „für mich“ täten, und umgekehrt die Amts- und Mandatsträgerinnen und -träger glauben, sich beispielsweise durch Umfragen ständig rückversichern zu müssen, dann entsteht eine Dysfunktionalität der Demokratie. Darin liegt meines Erachtens eine größere Gefahr als in einzelnen Ideologien. Denn Zweifel am Funktionieren des repräsentativen Systems und das Gefühl der Benachteiligung sind der beste Wurzelboden für die Konstruktion von neuen Freund-Feind-Bildern und für die Abwendung von der Demokratie. Daher ist meines Erachtens die Funktionalität einer Demokratie mindestens genauso wichtig wie die demokratische Überzeugung der Wählerschaft.

Sicherlich hat der russische Angriffskrieg auf die Ukraine einen Ruck durch die westlichen Gesellschaften gehen lassen, vor allem auch bei den politischen Amts- und Mandatsträgerinnen und -trägern. Demnach gibt es einen sehr breiten Konsens, dass man die Werte der westlichen demokratischen Gesellschaften – nun auch nach außen – verteidigen müsse.

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Das ganze Interview findet sich im Themenheft „75 Jahre Verfassungskonvent von Herrenchiemsee“ oder auf der Webseite der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit (www.blz.bayern.de).
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